Steffen Mau ist Professor für Makrosoziologie an der Humboldt-Universität zu Berlin. In seinem Buch „Das metrische Wir. Über die Quantifizierung des Sozialen“ (Suhrkamp 2017) hat er sich mit den gesellschaftlichen Folgen der Vermessung und Datafizierung auseinandergesetzt.
Wir haben Steffen Mau 7 Fragen zum Thema „Supersoring“ gestellt. Unter „Superscoring“ verstehen wir die Zusammenführung und Verknüpfung personenbezogener Daten aus unterschiedlichen Lebensbereichen und Quellen zur algorithmischen Erstellung eines zusammenfassenden Funktionswerts, der übergreifend menschliches Verhalten bewertet soll.
1. Wie bewerten Sie Superscoring als gesellschaftspolitisches Steuerungsinstrument?
Steffen Mau: Ich bin skeptisch, was die Zusammenführung von Daten aus vielen unterschiedlichen Bereichen zu einem Score angeht. Hier ufert Kontrolle aus, verschwinden die Möglichkeiten unterm Radar der Beobachtung zu bleiben. Es entsteht ein datengetriebenes Kontrollregime.
2. Worin und für wen sehen Sie die größten Chancen / die größten Risiken des Superscorings?
Steffen Mau: Die größten Risiken sind das Verschwinden von Privatsphäre, die Manipulation sozialer Prozesse und letztlich die Unentrinnbarkeit. Man wird zum ferngesteuerten Objekt algorithmischer Klassifikationen. Bislang operieren solche Pilotprojekte ohne Zurechenbarkeit und sind mit kaum zu durchschauenden Interessen verbunden. Manche sehen die Chancen in neuen Möglichkeiten der effektiven Governance, aber der Preis dafür ist hoch, zu hoch, würde ich sagen.
3. Mit welchen bestehenden Werten und Normen (Menschenbild) könnten Superscoring-Systeme in Konflikt geraten?
Steffen Mau: Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung wird ausgehöhlt. Menschen können, wenn diese Systeme mit Anreizen verbunden werden, fremdgeführt werden, was sie unmündig macht.
4. Wie verändern sich Superscoring-Prozesse durch den Einsatz von Digitaltechnologien (Smartphone-Tracking, Gesichts- und Stimmerkennung usw.)?
Steffen Mau: Letztlich kann es zur Totalprotokollierung aller Lebensspuren kommen, weil keine Bewegung und keine Kommunikation mehr unbeobachtet bleiben. Das Smartphone ist ja jetzt schon zum 24-Stunden-Bewegungsmelder geworden. In Zukunft werden wir mehrere Tausend Einzelinformationen täglich an vernetzte Geräte abgeben, ob im öffentlichen Nahverkehr, in den Schulen, im Fitnessstudio oder beim Einkaufen.
5. Wie bewerten Sie das Zusammenspiel von Digitalwirtschaft und Politik bei einer möglichen Implementierung von Superscoring? Und dies auch auf internationaler Ebene?
Steffen Mau: Hier sehe ich die Notwendigkeit, den Vormarsch von Superscoring aufzuhalten und unsere Grundrechte zu verteidigen.
6. Welche Aspekte des Superscoring sollten Ihrer Meinung nach im Rahmen von konkreten Bildungsmaßnahmen behandelt werden? Wo würden Sie ansetzen?
Steffen Mau: Es geht wohl nicht an Aufklärung vorbei, möglichst umfassend. Systeme, die nur in begrenzten Bereichen über Datenerhebung Klassifikationsaufgaben übernehmen, sind solchen vorzuziehen, die bereichsübergreifende und damit auch potenziell verzerrende Bewertungen übernehmen.
7. Welche Aspekte des Superscorings sind Ihrer Ansicht nach in der öffentlichen Diskussion noch unterrepräsentiert? Welche Fragen würden sich Ihnen noch stellen?
Steffen Mau: Im Schatten liegt immer noch, wie große Datenbroker mit Daten handeln, unterschiedliche Datenquellen zusammenführen und diese an Interessenten weiterverkaufen. Hier hat sich – weitgehend von der Öffentlichkeit abgeschirmt – ein riesiger kommerzieller Markt entwickelt.
Herzlichen Dank!