Unter dem Titel „Digitale Überwachung. Die chinesische Lauer“ hat der Leiter des Feuilletons der Süddeutschen Zeitung, Adrian Kreye, die Praktiken der westlichen Überwachungsindustrie kommentiert. Kreye nennt viele aktuelle Beispiele, etwa die virtuellen Assistenten Google Home und Alexa oder die Datensammelwut der EU. Sie führen ihn aber nicht dazu, daraus zu folgern, „dass die Empörung über die chinesischen Bewertungssysteme, die mittels Sensoren und künstlicher Intelligenz Bürgern einen Wert zuschreibt, der darüber entscheidet, welche Reisefreiheit, Kreditwürdigkeit, welche Ausbildungs- und Berufswege ihr oder ihm zustehen, reine Heuchelei ist.“ Denn während die chinesischen Bürger in dieses System gezwungen werden, es aber weitgehend akzeptieren, bleibe westlichen Bürgern ein Rest Freiheit, die sie zu Gegenreaktionen nutzen. Diese werden aber erschwert durch die Intransparenz und die heimliche Überwachung der Hightech-Konzerne. Das mache es schwierig, mit Gesetzen „den Hebel anzusetzen, der in einer Demokratie als Notwehrmittel bleibt.“ Im Unterschied zur westlichen Welt gehe die Einführung der Überwachung in China in aller Öffentlichkeit vor sich.
Dennoch nennt Kreye Parallelen: auch im Westen gebe es Bewertungssysteme, in die die Daten der Einzelnen einfließen. Als Beispiel nennt er eine Berechnung im US-Kreditwesen, nach der ein Nutzer, der in Social Media nach elektrischen Gitarren sucht, als weniger kreditwürdig eingestuft werde. „Welches kranke Fünfzigerjahrehirn diese sozialdarwinistischen Parameter aufgestellt hat, kann man nur erahnen.“
Kreye, Adrian: Digitale Überwachung. Die chinesische Lauer. In: Süddeutsche Zeitung, Nr. 166 vom 20./21. Juli 2019, S. 15. https://www.sueddeutsche.de… <29.07.2019>
Foto: Thomas Tekster