Christiane Woopen ist Professorin für Ethik und Theorie der Medizin an der Universität zu Köln und Direktorin des interfakultären Zentrums CERES (Cologne Center for Ethics, Rights, Economics, and Social Sciences of Health). Sie spricht am 11. Oktober auf der Konferenz „Super-Scoring?“ über „Identität und Integrität: Die ethische Relevanz von Super-Scores“.
Wir haben Christiane Woopen 7 Fragen zum Thema „Supersoring“ gestellt. Unter „Superscoring“ verstehen wir die Zusammenführung und Verknüpfung personenbezogener Daten aus unterschiedlichen Lebensbereichen und Quellen zur algorithmischen Erstellung eines zusammenfassenden Funktionswerts, der übergreifend menschliches Verhalten bewertet soll.
1. Wie bewerten Sie Superscoring als gesellschaftspolitisches Steuerungsinstrument?
Christiane Woopen: Superscoring im Sinne einer übergreifenden Bewertung des Menschen verstößt meinem Verständnis nach gegen die Menschenwürde und ist damit als gesellschaftspolitisches Steuerungsinstrument aus ethischen Gründen ausgeschlossen. Der Mensch hat Würde und keinen Preis, wie Kant es prägnant auf den Punkt gebracht hat. Dem Menschen in seiner komplexen Ganzheit einen übergreifenden Zahlenwert zuzuordnen wird ihm nicht ansatzweise gerecht. Ihm daraufhin Lebenschancen zuzuteilen wie etwa Bildungschancen oder Möglichkeiten zu gesellschaftlicher Teilhabe nimmt ihm darüber hinaus sogar noch seine ihm gebührende Freiheit.
2. Worin und für wen sehen Sie die größten Chancen / die größten Risiken des Superscorings?
Christiane Woopen: „Chancen“ sehe ich für diejenigen, die Macht über Menschen ausüben und sie nach Zielvorstellungen lenken wollen, die nicht den Menschen selbst, sondern den Machthabern zugutekommen. Wirklich gute Ziele lassen sich auch auf Wegen erreichen, auf denen nicht gegen die Menschenwürde verstoßen wird.
Das Risiko, das mich am meisten erschreckt, besteht darin, dass Superscoring in einer entsprechenden kulturellen Einbettung gewisse Bedürfnisse des Menschen, etwa nach Sicherheit oder im wörtlichen Sinne nach Berechenbarkeit erfüllt, sodass die Unmündigkeit, die letztlich folgt, als nicht so erheblich empfunden wird.
3. Mit welchen bestehenden Werten und Normen (Menschenbild) könnten Superscoring-Systeme in Konflikt geraten?
Christiane Woopen: Superscoring passt nicht zu einem Menschenbild, das auf der Würde, der Freiheit und der Autonomie des Menschen gründet.
4. Wie verändern sich Superscoring-Prozesse durch den Einsatz von Digitaltechnologien (Smartphone-Tracking, Gesichts- und Stimmerkennung usw.)?
Christiane Woopen: Digitaltechnologien ermöglichen das automatisierte und massenhafte Überwachen und Bewerten von allem und jedem. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass ihr Einsatz nicht automatisiert erfolgt, sondern aufgrund der Entscheidung von Menschen. Auch die Art der Anwendung etwa im Sinne der digitalen Auswertungen von Gesichtsausdrücken oder Sprachäußerungen sowie die Maßstäbe für eine Bewertung von menschlichem Verhalten wird von Menschen entschieden. Die Verantwortung liegt letztlich immer beim Menschen.
5. Wie bewerten Sie das Zusammenspiel von Digitalwirtschaft und Politik bei einer möglichen Implementierung von Superscoring? Und dies auch auf internationaler Ebene?
Christiane Woopen: Aus ethischen Gründen kommt für mich eine Implementierung von Superscoring schlicht nicht in Betracht.
6. Welche Aspekte des Superscoring sollten Ihrer Meinung nach im Rahmen von konkreten Bildungsmaßnahmen behandelt werden? Wo würden Sie ansetzen?
Christiane Woopen: Menschen müssen nicht nur lernen, digitale Technologien kompetent anwenden zu können, sondern auch, sie kritisch zu reflektieren. Dazu gehört auch die Anwendung eines Superscoring. Schon von frühester Kindheit an geht es um die praktische Vermittlung eines Bewusstseins, das den unbedingten Wert jedes Menschen deutlich macht – nicht durch theoretische Ausführungen, sondern im alltäglichen Leben und im respektvollen Umgang der Menschen miteinander. Nach und nach kommt dann der reflektierende Umgang mit grundlegenden Rechten und Freiheiten hinzu.
7. Welche Aspekte des Superscorings sind Ihrer Ansicht nach in der öffentlichen Diskussion noch unterrepräsentiert? Welche Fragen würden sich Ihnen noch stellen?
Christiane Woopen: Superscoring ist eine extreme Ausformung dessen, was heute durch Profiling in unterschiedlichen Bereichen als gleichsam mildere Variante bereits alltäglich geschieht. Wir brauchen meines Erachtens ein viel differenzierteres und kritischeres Bewusstsein für die Bedrohung unserer Privatheit, der Integrität unserer Persönlichkeit und damit letztlich unserer Freiheit.
Herzlichen Dank!