In ihrem Radiofeature „Big Data – oder die Vermessung des Individuums“ für den Bayerischen Rundfunk vom 18. Januar 2019 geht die Autorin Gabriele Knetsch der Frage nach, ob die Dystopie eines chinesischen Social Credit Systems auch in Deutschland Realität werden könnte. Dabei gilt ihr Interesse vor allem der Verflechtung von High-Tech-Firmen und staatlichen Behörden. So gehe es dem Fahrrad-Verleiher mobike nicht um eine nachhaltige Verkehrsplanung, sondern um das Generieren von Bewegungsdaten für staatliche Zwecke. Die algorithmen-gesteuerte Spracherkennung der Firma iFlytek sei nicht nur ein Schritt zu einer transnationalen Gesellschaft, sondern auch ein mächtiges Werkzeug zur Überwachung der Zivilgesellschaft.
Die Autorin lässt u. a. die Aktivistin und Chinaexpertin Maya Wang von Human Rights Watch zu Wort kommen, die das „Social Credit System“ so beschreibt: „Viele sagen, es geht hier um ein Punktesystem. Das trifft für einige lokale Regionen zu, aber nicht für alle. Auf der nationalen Ebene handelt es sich eher um ein System schwarzer Listen, wenn man etwa Verkehrsregeln bricht oder seine Gerichtsstrafe nicht bezahlt. Es ist eher ein Strafsystem als ein System, das gutes Verhalten durch Punkte belohnt.“ Diese schwarzen Listen würden durch ein System öffentlicher Pranger unterstützt, etwa durch übergroße Bildschirme, die Missetaten auflisten oder durch Telefonate, in denen Anrufer sich zunächst die Vergehen des Angerufenen anhören müssen oder durch öffentliche Schuldeingeständnisse in sozialen Netzwerken.
Knetsch kritisiert in ihrem Beitrag den weltweiten Kontroll- und Überwachungswahn durch die Einführung repressiver Gesetze, deren normative Kraft durch Big Data und KI erhöht werde. Sie konstatiert, dass diese Realitäten gerade gesetzt würden und zwar „weltweit an den Bürgern vorbei.“ Nach Knetsch sollte die Gesellschaft zumindest wissen, welche Macht ihre Daten den Mächtigen verleihe. Big Data und Social Scoring hätten revolutionäre Folgen für die Gesellschaft. Kritisch zu sehen sei, „dass sie Demokratien verändern und dass in einer Demokratie die Menschen an den Entscheidungen über ihre Daten beteiligt werden müssen. Ich will nicht, dass die Big-Data-Revolution nur von denen gemacht wird, die von meinen Daten profitieren.“
Gegen Ende ihres Features verweist die Autorin verweist auf Vorschläge des Bundeskriminalamtes, ein bundesweites Punktesystem für straffällig gewordenen Asylbewerber in Deutschland einzuführen. Auch Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius habe sich für dieses Punktesystem ausgesprochen.