Umfragen zu Social Scoring

Mit 68 Prozent lehnt die Mehrheit der Deutschen das chinesische „Social-Credit-System“ ab, wie eine aktuelle Studie des Meinungsforschungsinstituts Yougov in Kooperation mit dem Sinus-Institut zum Thema Social Scoring feststellte.

Weiter ergab die Umfrage: „Im Altersvergleich steht die junge Generation (18 bis 24 Jahre) der Vorstellung sozialer Kontrolle kritischer gegenüber. In dieser Gruppe fänden es nur 30 Prozent gut, ihren Mitmenschen Punkte für soziales Verhalten zu geben. Die höheren Altersgruppen sind der Idee gegenüber positiver eingestellt (25 bis 34 Jahre: 41 Prozent, 35 bis 44 Jahre: 38 Prozent, 45 bis 54 Jahre: 41 Prozent, 55 Jahre und älter: 42 Prozent).“

Rund 40 Prozent der Befragten könnten sich vorstellen, das soziale Verhalten ihrer Mitmenschen mit Punkten zu bewerten bzw. ihr eigenes Verhalten bewerten zu lassen. Dabei sind 18 Prozent der Meinung, dass im Rahmen eines sozialen Bewertungssystems nach chinesischem Vorbild Menschen mit niedrigem Score-Wert mit dem Entzug von staatlichen oder privatwirtschaftlichen Leistungen bestraft werden sollten.

Im Interview mit Deutschlandfunk Nova zeigt sich Doris Teutsch, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Medienpsychologie der Universität Hohenheim, wenig überrascht über diese Zahlen. Menschen würden sich nun einmal gerne gegenseitig bewerten und gäben ihre positiven oder negativen Erfahrungen besonders gerne weiter. Bewertungen seien ein „Ersatz“ für fehlende persönliche Erfahrungen. Solange diese Bewertungen in ihrem Kontext verbleiben, erfüllen sie „immer noch diese wichtige Funktion, Vertrauen zu schaffen.“ Doris Teutsch spricht sich dagegen aus, Bewertungen aus unterschiedlichen Kontexten zu einem Score zusammenzuführen. Dagegen müsse sich die Gesellschaft wehren. Nach Doris Fischer, die den Lehrstuhl China Business and Economics an der Universität Würzburg hält, erfülle das chinesische Scoring-System neben einer individuellen Erziehungsaufgabe auch die Funktion eines Ersatzes für ein schwaches Rechtssystem, um in Zeiten der Globalisierung weiterhin sicher Geschäfte machen zu können.

In seinem Beitrag „Vorsicht beim Social-Credit-System“ in der Frankfurter Rundschau vom 13. Februar 2019 gibt Harry Nutt zu bedenken, dass die Ergebnisse der Umfrage auch anders gedeutet werden könnten und den Gedanken nahelegen, „dass der Blick in das totalitaristische China das Produkt einer überheblichen Selbsttäuschung sein könnte“: „Das harmlose Spiel mit den Häkchen jedenfalls, die man hierzulande in beflissener Richterpose hinter ein Restaurant oder Hotel setzt, unterscheidet sich im großen Fluss der Algorithmen nicht von den geheimen Absichten böser Machthaber. Das narzisstische Gesellschaftsspiel, in dem man gern Noten verteilt, beliefert aufs Trefflichste den großen Datensammler und verrät das meiste auch über uns.“

Denn „unsere Lust – und immer öfter auch unser Zwang – mitzumachen und andere zu bewerten, treibt unweigerlich darauf zu, am Ende auch bewertet zu werden.“

Weitere Umfragen

Eine in Österreich im Januar 2019 durchgeführte Umfrage durch das Marktforschungsunternehmen INTEGRAL ergab, dass mehr als die Hälfte der Befragten durch Social Scoring persönliche Vorteile für sich erwarte, aber andererseits um den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft fürchte.

Für die repräsentative Umfrage „Ist Deutschland bereit für Social Scoring?“ hat die Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC im Februar 2018 1.000 Bundesbürger zwischen 18 und 70 Jahren zu ihren Einstellungen gegenüber Social Scoring durch Banken befragt. Die Ergebnisse sind nicht so eindeutig ablehnend, wie es auf den ersten Blick erscheint.

Bisher haben nur 31 Prozent der Befragten schon einmal von Social Scoring durch Banken gehört oder gelesen. 56 Prozent der Befragten nehmen Social Scoring eher als Risiko wahr, nur 11 Prozent sehen darin auch eine Chance. 71 Prozent befürchten, dass Banken aus Social Media-Informationen falsche Schlüsse in Bezug auf ihre Kreditwürdigkeit ziehen könnten. Mehr als die Hälfte hat keine Vorstellung davon, welche Informationen die Bank aus der Analyse der Daten gewinnt und wie die Auswertung des Nutzungsverhaltens aussehen könnte. Rund zwei Drittel lehnen jeweils die Analyse von öffentlich verfügbaren oder nicht öffentlich sichtbaren Daten im Rahmen eines Social Scoring ab. Aber immerhin jeweils 24 Prozent hätten damit kein Problem. Insbesondere bei Jüngeren ermittelt die Umfrage deutlich weniger Vorbehalte bei der Analyse bereits veröffentlichter Daten.

Die Akzeptanz von Social Scoring steigt deutlich an, wenn die Verbraucher(innen) entscheiden könnten, auf welche Daten die Bank zugreifen kann (43 Prozent) und wenn ihnen das Scoring-Ergebnis genau offengelegt wird (39 Prozent). Wenn sie vorab darüber informiert werden, wie das Scoring ablaufen soll und welche Daten und Informationen wie bewertet werden, können sich jeweils 39 Prozent vorstellen, diesem Verfahren zuzustimmen. Dabei gilt auch hier: wenn bestimmte Transparenzkriterien erfüllt sind, würde mehr als die Hälfte der 18 bis 25-jährigen dem Social Scoring zustimmen.

In ihrer Pressemitteilung resümiert PwC, dass mit zunehmender Bekanntheit von Social Scoring und aufgrund der hohen Zustimmungsraten bei den jüngeren Befragten die Akzeptanz von Social Scoring in Zukunft steigen werde. Das Fazit des PwC-Experten Andreas Hufenstuhl ist vorsichtig optimistisch: „Social Scoring mag noch kein Top-Thema für die Banken sein – könnte aber eins werden.“

Wie zu erwarten, sind die Zustimmungs- und Akzeptanzraten in China beträchtlich höher als in Deutschland. Ein Wissenschaftlerteam unter Leitung der Politologin Prof. Dr. Genia Kostka am Institut für Chinastudien der Freien Universität Berlin befragte zwischen Februar und April 2018 rund 2.200 Bürgerinnen und Bürger. Fast 80 Prozent bewerteten die staatlichen und kommerziellen Sozialkreditsysteme positiv, wobei die Zustimmung bei Älteren und Gebildeten sowie Bürger(innen) mit hohem Einkommen besonders groß sind. Die positive Meinung wurde auch in persönlichen Interviews, die mit Chinesinnen und Chinesen geführt wurden, geäußert. Die Studie steht hier zum Download zur Verfügung.

Quellen:

Endler, Rebekka. Social Scoring. Über den Wunsch, unsere Mitmenschen zu bewerten. In: Deutschlandfunk Nova, 5 Feb 2019. https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/social-scoring-wenn-menschen-andere-menschen-bewerten 25 Feb 2019.

INTEGRAL. Überwachungsstaat: Ein Vorteil für die Gesellschaft? INTEGRAL-Studie: Klare Absage an Social Scoring. INTEGRAL, 5 Feb 2019. https://www.integral.co.at/downloads/Pressetext/2019/02/Pressetext_Social_Scoring_-_Feb_2019.pdf 25 Feb 2019.

Kostka, Genia. China’s Social Credit Systems and Public Opinion: Explaining High Levels of Approval, 23 Jul 2018). Available at SSRN: https://ssrn.com/abstract=3215138 or http://dx.doi.org/10.2139/ssrn.3215138  2 Apr 2019.

Kostka, Genia. Chinas soziale Bonitätssysteme sind – noch – beliebt (Englisch). In: MERICS, 17 Sep 2018. https://www.merics.org/de/blog/chinas-soziale-bonitaetssysteme-sind-noch-beliebt-englisch 2 Apr 2019.

Nutt, Harry. Vorsicht beim Social-Credit-System. In: Frankfurter Rundschau, 13 Feb 2019. https://www.fr.de/meinung/vorsicht-beim-social-credit-system-11758301.html 25 Feb 2019.

PwC. Ist Deutschland bereit für Social Scoring? Social Scoring Umfrage. Mai, 2018. https://www.pwc.de/de/finanzdienstleistungen/studie-ist-deutschland-bereit-fuer-social-scoring.pdf 14 Mar 2019.

YouGov; Sinus-Institut. Social Scoring: Zwei von fünf Deutschen würden gerne das Verhalten ihrer Mitmenschen bewerten, YouGov, 4 Feb 2019. https://yougov.de/news/2019/02/04/social-scoring-zwei-von-funf-deutschen-wurden-gern/ 25 Feb 2019.

 

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